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Historisches Foto des Gasthauses zum Schloss (heute Schloss-Schenke)

 
 

Einladung zum Kaisergeburtstag 1900

 

Als man noch in den Flecken ging

Nun ist es soweit! Ein ganzes Festjahr steht den Engersern bevor, denn in diesem Jahr jährt sich zum sechshundertfünfzigsten Mal die Stadtrechtsverleihung durch Kaiser Karl IV. Jürgen Moritz, seit vielen Jahren heimatgeschichtlich aktiver Engerser, hat daher einmal eine Zeitrei-se unternommen, die ihn gut einhundert Jahre, in die „Kaiserzeit“, zurückgeführt hat. Als Reisenotizen hat er Überraschendes und auch weithin Unbekanntes mitgebracht: Was die Enger-ser Bürger jener Zeit bewegte, welche Vereine und Institutionen das örtliche Leben prägten und welche Weichen schon damals für die Zukunft des schönen Rheinortes gestellt wurden.

Als erstes fällt auf: die „alten Engerser“ konnten feiern! Man feierte jährlich den Kaiserge-burtstag mit einem Festessen, und man beging den Sedantag, um der siegreichen Schlacht gegen die Franzosen im Kriege 1870/71 zu gedenken. Der Vaterländische Kriegerverein und ein Bürgerverein waren bei der Ausrichtung dieser Feste sehr engagiert. Im Spätherbst gabs in manchen Jahren eine Martinikirmes und im Winter ein Bockbierfest. Ein Karnevalsverein mit dem seltsamen Namen „Junggesellen-Du ahnst es nicht“ war in der Fastnachtszeit aktiv, und die Ausrichtung der Kirmes war damals noch Angelegenheit von Innungs-gesellen. Es gab in jener Zeit gleich zwei Männergesangvereine in Engers, den Verein „Liedertafel“ und den Verein „Unterhaltung“, die beide durch ihre musikalischen Leistungen über den Ort Engers hinaus einen klangvollen Namen hatten. Ein Vaterländische Frauenverein war neben dem Katholischen Gesellenverein besonders im sozialen Bereich aktiv, und von den sportlichen Erfolgen der Engerser Turner wußte die Zeitung schon damals häufig zu berichten. Die En-gerser Imker hatten sich mit den Gefügelzüchtern zu einem Verein zusammengeschlossen, und ein Gartenbauverein mit dem wohlklingenden Namen „Convallaria“ glänzte mit Blumen- und Gemüseausstellungen. Der Bauernverein führte seinen ersten Bauernball durch, dem im Laufe der Jahrzehnte noch viele folgen sollten und der „Dilletanten Bund Minerva“, die be-rühmte Laienschauspieltruppe, die mehr als ein halbes Jahrhundert lang für Furore sorgte, wurde in jener Epoche gegründet.

In dieser Zeit -und dies wird wohl eine Sensation in dem kleinen Rheinort gewesen sein- be-suchten erstmals chinesische Leutnants Lehrgänge an der Kriegsschule, und die nach dort abgeordneten Portepeefähnriche, von einem zeitgenössischen Autor als „gutgewachsene Söh-ne des Mars“ bezeichnet, führten der Engerser Bevölkerung auf dem Schlosshof oder der of-fenen Reitbahn ihre sportlichen Kunststücke vor. Überhaupt die Kriegsschule: sie spielte eine bedeutende Rolle im Engerser Ortsgeschehen, bot sie doch Arbeitsplätze, beschäftigte Hand-werker und sorgte für Mieteinnahmen der Engerser Hausbesitzer und Umsätze in den Ge-schäften und Gasthäusern.

Die populären Stiftungsfeste von Engerser Vereinen fanden in der vom jüdischen Mitbürger Moritz Herz erbauten gedeckten Reitbahn statt oder in den Sälen des Rheinischen Hofes, des Gasthofes Velten und im Hotel Zimmermann. Man saß im Sommer in Schunkerts Garten am Rhein, dem „schönsten Ausflugslokal der Gegend“, oder in den Gärten der Römerbrücke und des Engerser Hofes. Und in der Schloßstraße gab es neben dem Gasthof zum Schloß auch ein Gasthaus mit dem martialisch klingenden Namen „Zum wilden Schwein“. Eine Neuheit, die für alle Freunde des Kegelsports von großem Interesse gewesen sein wird, wurde im Rheini-schen Hof eingerichtet: Eine automatische Kegelbahn. Und im Jahre 1902 wurden dort zum ersten Mal „lebende Fotografien“ vorgeführt, fast ein Jahrzehnt bevor in Engers gleich zwei(!) Lichtspieltheater entstanden. Man erwog den Grauen Turm in Bismarkturm umzubenennen, und bei den alljährlichen Treibjagden im Engerser Feld sollen einmal 231 Hasen zur Strecke gebracht worden sein!

Es gab eine Kahnstation der Köln-Düsseldorfer-Dampfschifffahrsgesellschaft in Engers und der Bahnhof war D-Zug-Station, an der die sog. „Holländer D-Züge“ hielten. Man erwog den Bau eines Wasserwerkes im Engerser Forst im Sayntal und man zeichnete Brennstellen, um den Bau eines Elektizitätswerkes zu finanzieren. Ein Krankenhaus entstand und für eine Mark im Monat versorgten die Franziskanerinnen in der „Kinderbewahrschule“ die Kleinen. Ein wenig distanziert mag das Verhältnis der Engerser Eisenbahner zur nahegelegenen Kreisstadt gewesen sein, denn diese legten in der Vorweihnachtszeit keinen Wert auf Freifahrtscheine zum nahen Neuwied, sondern zogen es vor, zur Erledigung ihrer Einkäufe nach Ehrenbreit-stein zu reisen, was übrigens einige Jahre später den Neuwieder Gewerbeverein auf den Plan rief!

Man klagte aber im Engers jener Jahre auch über die „herumliegenden Stein- und Schmutzhaufen in der Provinzalstraße“, über „Vandalen“, die neu gepflanzte Bäume ihrer Kronen be-raubt hatten und über das Treiben halbwüchsiger Burschen in der Schlossstraße, „auf die der Nachtwächter ein scharfes Auge haben solle“. Und das Verhältnis zwischen den Fähnrichen der Kriegsschule und der einheimischen Jugend wird wohl auch nicht immer ganz spannungsfrei gewesen sein, weiß doch die Zeitung von einer großen Keilerei zu berichten, bei der sogar Bierkrüge zweckentfremdet zum Einsatz kamen...

Ja, so war das vor gut einhundert Jahren im kleinen Engers am Rhein. Was die Feierfreudigkeit angeht, hat sich seither gottlob wenig geändert. Ob die Bürger des Fleckens in jener Zeit allerdings an die bevorstehende fünfhundertfünfzigste Wiederkehr der Stadtrechtsverleihung gedacht haben, dazu konnte Jürgen Moritz trotz langjähriger Recherche bisher nichts herausfinden....

 

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