Engerser Kirmes Anno dazumal.
- Als Böllerschüsse noch die Kirmes begrüßten.
Die Engerser Kirmes ist schon seit langer Zeit ein beliebtes und gern besuchtes Volksfest, das viele Menschen aus der ganzen Region in den alten Rheinort lockt. Man kann dort auch heute noch eine traditionelle Rheinische Kirmes mit zahlreichen Fahrgeschäften und Unterhaltungs-buden erleben. Schon das Aufhängen der Kirmenkrone durch den ausrichtenden Kirmesjahrgang ist ein Spektakel, das zahlreiche Zuschauer begeistert, und mit dem traditionellen Treffen der Jahrgänge am Kirmessonntag sowie dem anschließenden Umzug durch den Ort findet die heutige Kirmes alljährlich ihren Höhepunkt. Wie aber mag die Kirmes in Engers früher gefeiert worden sein, vor 100 oder noch mehr Jahren? In einer Zeit, als das Kirchweihfest für viele Menschen unserer Region oft die einzige Abwechslung von ihrem schweren Alltag war. Man denke nur daran, dass in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts laut der Engerser Chronik sogar einmal darüber nachgedacht wurde, aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation des Ortes die Kirmes ausfallen zu lassen. Welche „Kirmesbelustigungen“ mag es damals gegeben haben und wie sahen die Fahrgeschäfte aus? Chronist Jürgen Moritz hat einmal zusammen getragen, was er an Informationen über die Engerser Kirmes anno dazumal in vielen Jahren recherchieren konnte.
Es beginnt bereits in den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts. In der lokalen Zeitung entdeckt man fortan immer in den Monaten Mai oder Juni Anzeigen Engerser Gastwirte. Zunächst nur die der legendären Römerbrücke, später auch die des Hotels Wettels, die für den Besuch ihrer Veranstaltungen aus Anlass der Kirmes warben. So, wie im heutigen Gästehaus der Villa Musica und dem längst verschwundenen Hotel, wurde später in fast allen Engerser Lokalitäten zum Tanz aufgespielt oder es fanden Konzerte statt, wobei Militärkapellen häufig die Ausführenden waren. Über Jahrzehnte hinweg beschränkte sich die „Kirmesberichterstattung“ lediglich auf diese Anzeigen der Engerser Wirte. Endlich, im Jahr 1898, finden wir in der Bendorfer Zeitung einen Vorbericht zur Kirmes mit folgendem Inhalt: „Wie alljährlich, so haben sich auch in diesem Jahre die hiesigen Innungsgesellen in letzter Stunde vor der Kirmes aufgerafft, zur Constituierung der Kirmesbaumgesellschaft, um nach altem Brauche heute am Vorabend die Kirmes durch Böllerschießen und Aufstellen des Kirmesbaumes einzuleiten. Die übliche Kirchweihprozession bewegt sich morgen nach dem Hochamte durch die Straßen der Stadt.“
Nun tauchen auch bald die ersten Hinweise auf Attraktionen, Fahrgeschäfte und Schausteller auf. Vocal-, Instrumental- und Schuhplattlertanzgruppen gastierten alljährlich in Engers, wobei eine von ihnen, die Gesellschaft „Alpenblume“ sogar Werke von Strauss und Mozart vortrug! In ihren Anzeigen warb sie mit dem Hinweis, dass das gewandte Zitherspiel eines Herrn Jörg Unterhubers „den allerhöchsten Beifall seiner Majestät gefunden habe“ oder dass die auftretenden Tänzer „beim Preisplatteln in Wien“ die goldene Medaille errungen hätten. Amüsant auch die Werbung des Mimikers und „Nasenkünstlers“ August Hipp, der tausend Mark für denjenigen auslobte, der ihm seine Instrumente mit der Nase nachspielen könne. Auf dem Marktplatz, hinter dem „hochelegante Etagenkarussell“, konnte man in manchen Jahren Paulzens sen sationelle Ausstellung „im Fluge durch die Welt“ besuchen und dabei für uns heute im Zusammenhang mit einem Rummelplatz recht merkwürdig anmutende Bilder von Hinrichtungen und kriegerischen Auseinandersetzungen betrachten. In den Straßen wurden von fliegenden Händlern Bijouterie-, Galanterie- und Lederwaren angeboten. Schaubuden und sonstige Attraktionen seien, so die Zeitung im Jahr 1903, in Hülle und Fülle vorhanden. Auf dem „Juxplatz hinter der Bleiche“ stand die elektrische Grottenbahn, das „größte und schönste Dampfkarussell der Welt“ mit dem man zu den Klängen einer Militärmusik „hochinteressante Belustigungsfahrten durch den St. Gotthard Tunnel en miniature“ machen konnte. Diese Tunnelbahn würde laut Zeitung wohl zum Anziehungspunkt für Tausende werden. Steiners „Riesen-Kinematograph“, der laut Eigenwerbung natürlich ebenfalls der großartigste und vollendetste der Welt war, bot Unterhaltung für die ganze Familie mit lebenden Bildern vom Zaubermärchen bis zum frühen Katastophenfilm.
Besonders aufmerksam gemacht wurde in ei-nem Jahr auf eine große „wissenschaftliche“ Herren-Extravorstellung abends um 10 Uhr, zu der nur männliche Zuschauer Zutritt erhielten, die das 18. Lebensjahr bereits vollendet hatten. Nervenschwachen Personen wurde vom Besuch der Veranstaltung ausdrücklich abgeraten. Auch das berühmte Kölne Hänneschen Theater gehörte einst zu den Gästen der Engerser Kirmes und präsentierte im Jahr 1902 mit Hännes´chens Reise nach Asien ein großes „Krawallstück“, und die bekannte Schaustellerfamilie Meyer aus Neuwied war mit ihrem Karussell ebenfalls schon da, wie auch heute noch, nach mehr als 100 Jahren! Der alljährliche Festzug der Kirmesbaumgesellschaft, der sich Montags unter Führung des „schneidigen Präsiden-ten“ mit klingendem Spiel durch die Engerser Straßen bewegte, war dann der Höhepunkt eines Kirmestreibens, das in manchen Jahren nur noch von einem spektakulären Feuerwerk übertroffen wurde.
Auch das gab es einst: "Nachkirmes" in Engers, wie es die obige Anzeige
aus dem Jahr 1860 dokumentiert.
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