Bahnhof in Engers um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert
Die Eisenbahn in Engers-dem Tor zum Westerwald
Mit Fug und Recht kann man das 19. Jahrhundert als das Eisenbahnjahrhundert bezeichnen. Der Eisenbahnbau war in dieser Epoche die zentrale Kraft der Industrialisierung in Deutschland. Bereits Mitte der 1840er Jahre forderten der Bürgermeister von Deutz sowie ein Komitee Kölner Geschäftsleute den Bau einer rechtsrheinischen Eisenbahnlinie als Verbindung zu der im Jahre 1840 eröffneten Taunusbahn. 1852 hatte ein Neuwieder Eisenbahnkomitee ebenfalls um eine Konzession für den Bau einer Schienenverbindung ersucht. Im Jahre 1863 genehmigte der preußische Handelsminister schließlich die Vorarbeiten. Im Mai 1866 genehmigte die Generalversammlung der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft den Bau der Eisenbahnstrecke von Oberlahnstein bis Siegburg. Als Bauzeit hatte man zwei Jahre vorgesehen. Bis zum Ende des Jahres 1867 war die Linienführung der Bahn festgelegt und im September 1869 erfolgte die erste Probefahrt einer Lokomotive auf der fertig gestellten Teilstrecke bis Neuwied. Am 14. Oktober wurde die Strecke amtlich abgenommen und Ende Oktober 1869 offiziell dem Verkehr übergeben.
In der Neuwieder Zeitung vom 8. Juni 1868 findet sich der Ausschreibungstext zur „Ausführung der Mauer-, Putz- und Zimmerarbeiten der Empfangsgebäude Engers und Bendorf“. Das Personal des Bahnhofs Engers bestand zunächst noch aus recht wenigen Bediensteten. Aber bereits 1892 werden insgesamt 74 Beamte genannt, darunter 13 Lokomotivführer. Im Jahre 1901 gründeten die Engerser Eisenbahner den Staatseisenbahnverein Engers und Umgebung, der in den Folgejahren regen Anteil am örtlichen Vereinsleben nahm. Eine gewisse Distanz zur nahe gelegenen Kreisstadt Neuwied lässt sich aus einer Veröffentlichung in der „Neuwieder Zeitung“ vom 8. Dezember 1908 erkennen, in der sich die „Vereine zur Wahrung werblicher und städtischer Interessen von Neuwied“ darüber beklagten, dass von Seiten der Bahn den in Engers wohnenden Beamten Freifahrtscheine für Einkäufe nach Koblenz zur Verfügung gestellt wurden. Man sollte den Engerser Bahnbeamten alternativ auch Freifahrscheine nach Neuwied ausstellen. Die mit diesem Sachverhalt konfrontierten überörtlichen Eisenbahndienststellen antworteten darauf, „die Beamten in Engers hätten nicht den Wunsch ausgesprochen, ihre Einkäufe in Neuwied zu bewirken“.
Man kann vermuten, dass bereits kurz nach der Aufnahme des Eisenbahnbetriebes im Jahre 1869 in Engers auch Lokbehandlungsanlagen entstanden sind. Noch größere Bedeutung erlangte das Betriebswerk mit der Aufnahme des Bahnbetriebs in denWesterwald im Mai 1884. In dieser Zeit entstand auch der heute noch vorhandene 15ständige Ringlokschuppen. Die Rheinische Eisenbahngesellschaft beabsichtigte schon 1870 den Bau einer Zweigbahn von Bendorf oder Engers aus nach Montabaur. Die preußische Regierung erteilte am 13. Juni 1873 die Konzession zum Bau der Stecke. Allerdings wurde der Fahrbetrieb auf der unteren Westerwaldbahn wegen zahlreicher Verzögerungen der Baumaßnahme erst im Mai 1884 aufgenommen.
Die Engerser Verkehrs- und Betriebseinrichtungen, zunächst der preußischen Staatsbahn, später der Reichsbahn, bis hin zu den frühen Bundesbahnzeiten, hatten in unserer Region erhebliche Bedeutung. Der rege Güterverkehr führte schon bald zur Überlastung der Gleisanlagen. Eine kurz nach der Jahrhundertwende erstellte Denkschrift, die den Bau einer Bahnverbindung von Selters durch das Sayntal über Heimbach nach Neuwied anregte, nannte bereits die Zahl von 6.000 bis 7.000 Waggons, die in Engers im Zusammenhang mit der Sandsteinindustrie jährlich be- und entladen wurden und bezeichnet die Verhältnisse im Engerser Bahnhof als beengt. Waren es zunächst vor allem die Produkte der Mülhofener Hüttenbetriebe bzw. die diesen Betrieben zugeführten großen Mengen an Rohstoffen, die in Engers umgeschlagen wurden, kamen später Ton und Tonerzeugnisse, Bims und Bimssteine sowie landwirtschaftliche Produkte hinzu. Nicht weniger als 25 Gleisstränge mit unterschiedlichsten Betriebsaufgaben waren seit der Fertigstellung der rechtsrheinischen Eisenbahn sowie des Baus der unteren Westerwaldbahn verlegt worden. Mit seinen Nebenbetrieben war der Bahnhof, Ortsgüteranlage und Betriebswerk immer eine bedeutende Dienststelle der Eisenbahn in Engers. 1949 zählte allein das Bw zusammen mit dem Lokbahnhof Siershahn, der zwischenzeitlich organisatorisch dem Bw Engers zugeordnet war, um die 200 Beschäftigte. Da Engers über lange Zeit Personaleinsatzdienststelle war, kam nochmals eine größere Zahl von Eisenbahnern hinzu, so dass in der Blütezeit des Eisenbahnbetriebes um die 400 Bedienstete dem Bahnhof Engers und den angeschlossenen Betrieben zugeordnet gewesen sein dürften. Engers war Zugbildungsbahnhof, und in den zwanziger Jahren waren es täglich bis zu 14 Personen- und zwölf Güterzüge, die den Westerwald befuhren, zum Teil bespannt mit Engerser Maschinen. Im Umsteigebahnhof Engers war die Zahl der Reisenden nicht unbeträchtlich. Im Reiseverkehr vom Bahnhof Engers in den Westerwald wurden 1949 etwa 400 Personen werktäglich gezählt. Mehrere hundert Fahrgäste stiegen täglich von den Zügen der Westerwaldbahn in die Züge der Rheintalbahn um. Auch die beiden großen Kriege sowie die Ruhrkrise des Jahres 1923 gingen an den Engerser Eisenbahnern und Maschinen nicht spurlos vorüber. Bereits während des Ersten Weltkriegs leisteten Engerser Lokomotivführer ihren Dienst in Belgien oder Frankreich ab und mussten Engerser Maschinen an die Front abgegeben werden. Am 1. März 1923 besetzten französische Truppen den Engerser Bahnhof, nachdem es bereits zuvor durch die dramatischen Ereignisse im Ruhrgebiet zu Betriebsbeeinträchtigungen auf der rechten Rheinstrecke gekommen war. Die Engerser Bahnbeamten wurden aus dem Dienst entfernt, vor dem Stationsgebäude zogen Wachen auf und sämtliche Stellwerke wurden besetzt.
Die untere Westerwaldbahn endete für geraume Zeit in Sayn. Erst nach Monaten normalisierte sich der Eisenbahnverkehr auf der rechten Rheinstrecke und in den Westerwald wieder. Im Zweiten Weltkrieg verschlug es Engerser Beamte und Maschinen nach Westen oder in die Weiten der Sowjetunion. Engerser Maschinen wurden in die Kampfgebiete abgezogen, gingen dort verloren oder kehrten nach Kriegsende nicht mehr zu ihrem angestammten Heimat-Betriebswerk zurück. Aber auch Bahnhof und Betriebswerk selbst kamen im Zweiten Weltkrieg nicht ungeschoren davon. Am 9. März 1945 gerieten die Engerser Bahnanlagen unter Artilleriebeschuss der Alliierten. Einen Tag später wurden zahlreiche Treffer erzielt. Das Empfangsgebäude des Bahnhofs sowie der Güterschuppen und die Stellwerke wurden ebenso beschädigt, wie auch Gleis- und Weichenanlagen.
Die Strecke auf den Westerwald überstand den Krieg ebenfalls nicht unbeschadet. So wurden beim deutschen Rückzug zwischen Sayn und Grenzau mehrere größere Bahnbrücken gesprengt. Der Zugverkehr auf der Teilstrecke Engers bis zur Betriebsstelle Km 9 konnte ab 22. August 1945 im Pendelverkehr befahren werden, dann war eine halbe Stunde Fußmarsch zum Bahnhof Grenzau erforderlich. Von einem im Rhein versenkten Schiff der Neuwieder Reederei Aviszius stammten die ersten Kohlen, mit denen die Engerser Loks angeheizt wurden. Rationalisierung und moderne Technik bedeuteten zunächst das A u s für das Bw Engers. Die mit hohen Betriebskosten verbundenen Dampflokomotiven wurden zum Teil durch Schienenbusse ersetzt, kurze Zugfahrten mit zahlreichen Rangierhandlungen mussten eingespart werden, um eine schnellere Beförderung zu erreichen.
So wurden nach Wiederinbetriebnahme der Rheinbrücke im Mai 1954 die Güterzüge von Siershahn nach Neuwied durchgeführt. Auch die Personenzüge begannen oder endeten fast ausnahmslos in Neuwied. Ab 1. Dezember 1957 war das Bw Engers keine selbstständige Dienststelle mehr. In den siebziger Jahren wurde die Güterabfertigung geschlossen, der Bahnhof verlor im Jahre 1985 seine Funktion. Engers war danach nur noch Haltepunkt. Der Personenverkehr in den Westerwald wurde 1989 eingestellt, der Güterverkehr nur wenige Jahre später, im Jahr 1994. Heute lässt sich nur noch erahnen, welche Bedeutung die Engerser Bahnanlagen für den Ort Engers und seine Umgebung hatten. Ein bedeutendes Stück lokaler Wirtschaftsgeschichte endete mit der Aufgabe des Standortes Engers durch die Deutsche Bundesbahn. Mehr als ein Jahrhundert regionaler Eisenbahn- und Verkehrsgeschichte, an der die Eisenbahner und die Maschinen aus Engers intensiv mitgeschrieben haben.
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